Auch eine Art Medienkompetenz
Mediennutzung ist nicht gleich Medienbeherrschung – eine Abrechnung
Praktisch jeder arbeitet heute am und mit dem Computer. Praktisch jeder hält dies für selbstverständlich. Die große Verbreitung des Werkzeuges Computer bedeutet jedoch nicht, dass Nutzer es auch beherrschten. Beherrschen bedeutet mehr, als irgendwie Ergebnisse zu produzieren oder zu wissen, durch welch' mystischen Beschwörungsformeln – zwei Mal fluchen, einmal gegen den Monitor hauen und dann dreimal um den Arbeitsplatz tanzen – das Gerät zum Laufen zu kriegen ist. Mit den Macken eines Gerätes leben zu lernen, mag irgendwie dabei helfen, arbeitsfähig zu bleiben. Ein Zeichen von medialer Autonomie und Souveränität ist es nicht. Wenn die Klotür aus den Angeln rutscht, hängt man sie wieder ein. Man gewöhnt sich nicht an, in einem fort Besetzt! zu rufen…
Betrachten wir also einmal, in welcher Form Menschen Funktionen und Programme ihres Computers nutzen: Die wenigsten verwenden z. B. bei der Erstellung ihrer Word-Texte die von dem Programm zur Verfügung gestellten Strukturierungsmittel für Überschriften etc. Was eine Überschrift sein soll, wird in größerer Schrift und fett gesetzt, erreicht wird dies durch Markieren des Textes, klick auf Bold und die Schriftgröße.
Dass ich an dieser Stelle auf das »Textverarbeitungprogramm« Word eingehen muß, ist seiner weiten Verbreitung geschuldet, nicht aber seiner Qualität. Word ist das Programm, das so ziemlich jeder benutzt und zu benutzen müssen meint. Word ist aber kein gutes Programm. Word erzeugt – wie auch andere WYSIWYG-Textverarbeitungsprogramme &ndsh; typographisch schlechten Text. Leider kann der Normalverbraucher diesen nicht mehr als solchen erkennen. Weder besitzt er eine ästhetische Schulung, noch legt ihm die Voreinstellung seines Programmes eine sinnvolle und ansprechende Typographie nahe. Word hat keinerlei Ahnung von einem schönen Seitenspiegel, auch Ligaturen werden komplett ignoriert. Und die Standardschriften, die Word mitliefert, sind aus typographischer Sicht von minderer Qualität. Auch liegen zu diesen Schriften keine Varianten für unterschiedliche Schriftgrößen vor, Word vergrößert bzw. verkleinert die Buchstaben einfach nur. Gleiches gilt für kursiv gesetzten Text, auch hier greift Word nicht auf entsprechende Italic-Fonts einer Schriftart zurück sondern neigt die Buchstaben. Wenn Sie in diesem Augenblick keine Ahnung davon haben, wovon ich rede, sind Sie Teil des Problems.
Bei der Erzeugung von Texten kommen zwei Dinge zusammen, die bei Word bzw. allgemein bei WYSIWYG-Programmen zusammenfallen: Die inhaltliche Arbeit am Text und die Typographie des Textes. Der Benutzer von Textverarbeitungssystemen unterliegt der starken Versuchung, die logische Struktur des Textes aus den Augen zu verlieren und dies durch oberflächliche typographische Elemente auszugleichen. Manchmal wäre es besser, wenn der Nutzer nicht unreflektiert an jeder Schraube drehen könnte – dann würde er es vielleicht auch einfach einmal lassen.
Früher – ach ja, früher – war ein Autor nur für den Inhalt seiner Texte verantwortlich. Für Satz und Layout gab es einen eigenen Berufszweig, der durch die Jahrhunderte hindurch Regeln für gute Ligaturlesbarkeit entwickelt hatte. So haben sich die Regeln der Buchsetzkunst vom Mittelalter bis in die Neuzeit durch Erfahrung gesammelt. Schade, dass sie heute zumeist ignoriert werden. Und die gleiche Situation findet sich auch im Bereich der Werbung: Während früher professionelle Designer beauftragt wurden, wähnt sich heute einjeder dazu in der Lage, seine Flyer und Handzettel zu gestalten – teilweise mit amüsanten Ergebnissen, auch was die Verwendung der deutschen Orthographie und Grammatik an geht.
Viele Erwachsene gehen auch davon aus, dass Kinder und Jugendliche dadurch, dass sie praktisch mit dem Computer aufwachsen, diesen auch selbstverständlich beherrschen. Es mag sein, dass die meisten Kinder in der Lage sind, Websites aufzurufen, E-Mails zu versenden oder auch sich in Diskussionsforen anzumelden – daraus abzuleiten, dass sie aber auch die Tragweite ihres Handelns überschauen können, wäre grob fahrlässig. Der Umgang mit dem Computer – wie letztlich mit jedem Werkzeug – muss gelernt werden.
geschrieben Juni 2008
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