Von Arbeitsagenturen und Job-Centern

oder: Was ich muß ohne zu dürfen

ein Bericht von Sanne Grabisch

9. 3. 2005, wir schreiben das Jahr 0 nach Hartz IV, die Arbeitsämter in Deutschland sind in innovative Arbeitsagenturen umgewandelt, das Land erhebt sich aus der Krise. Ich bin weiterhin arbeitslos.

Zuständig für mich ist seit dem 1. 1. 2005 das im Gebäude der Hildesheimer Agentur für Arbeit ansässige Job-Center. Hier kümmern sich aus dem Sozialamt Hildesheim rekrutierte Mitarbeiter zusammen mit Mitarbeitern des ehemaligen Arbeitsamtes als persönliche Ansprechpartner auch oder primär um die soziale Betreuung von ALG-2-Empfängern.1

Doch durch Zugriff auf bewährte, bislang richtigen Arbeitslosen vorbehaltene Maßnahmen haben nun endlich auch diese Menschen die Möglichkeit, erfolgreich in den ersten Arbeitsmarkt integriert zu werden. Hartz IV macht's möglich. Ich durfte selbst erfahren, wie die neue Praxis auf dem »Arbeitsamt« umgesetzt wird.

Ich bin verpflichtet, mich aktiv um Arbeit zu bemühen.
Die dazugehörige Parole des Arbeitsamtes lautet »Fordern und fördern«. Das bedeutet u. a., dass ich gezwungen bin, jede mir angebotene Stelle anzunehmen, egal ob sie meiner Qualifikation und Ausbildung entspricht oder nicht.2 Das Arbeitsamt hat sich so die Option geschaffen, mein ALG-2 stufenweise zu kürzen, sollte ich mir zugewiesene Arbeit zweimal ablehnen.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist das Arbeitsamt jedoch (noch) nicht in der Lage, mir auch folgerichtig jeden Job anzubieten.3 Vielleicht hat es auch kein Interesse daran. So dient die neue Regelung vorerst als Drohgebärde – sowohl gegenüber den Horden arbeitsunwilliger Sozialschmarotzer als auch gegenüber den hochmütigen Arbeitslosen, die sich noch immer für wertvolle Arbeitskräfte halten.
Ich darf keine Praktika machen.
Das heißt, so klärt mich mein persönlicher Ansprechpartner auf, ich darf dann bis zu zwei Wochen lange Praktika machen, wenn sie unter der Prämisse stehen, eine Art Antesten für eine anschließende Beschäftigung zu sein.4
Ich darf nicht Praktika machen, um mich auszuprobieren und weiterzubilden. Denn das Arbeitsamt sieht seine Aufgabe nicht darin, mir meine Bildungsfreizeit zu finanzieren. Ich soll mich also fleißig bewerben und ansonsten untätig herumsitzen. Ich darf mich nicht fleißig bewerben und dabei – z. B. in Form von Praktika – an Erfahrung zunehmen und Eigeninitiative zeigen.
Ganz so stimmt das allerdings nicht, denn:
Ich darf 1-Euro-Jobs ausüben.
1-Euro-Jobs sind eigentlich 1,50 €-Jobs. Zur Zeit darf ich sie machen und muß sie nicht machen. Wie schön.
Bei einem 1-Euro-Job wird ein in der Regel halbjähriger Vertrag mit einem Träger geschlossen.5 Ich kann auf kürzere Vertragslängen bestehen, sehe mich dann aber der Gefahr ausgesetzt, dass ein Träger den sich längerfristig binden wollenden Arbeitslosen bevorzugt.6 Der Träger kann sich jedoch nur die Vertragslänge, nicht aber den Vertragspartner aussuchen. Dieser wird vom Arbeitsamt zugewiesen.
Menschen arbeiten auf der Basis von 1-Euro-Jobs, weil sie, so mein persönlicher Ansprechpartner,
  • auf das Geld angewiesen sind (1,50 € × 20 = 30 zusätzliche Euro die Woche).
  • helfen wollen.
Wie schön.
Ich persönlich möchte einfach beschäftigt sein und etwas lernen. Ich möchte Erfahrungen sammeln in einem Feld, das meine Berufserfahrungen ausbaut. Weshalb ich Praktika machen möchte. Was ich nicht darf.
Praktika versus 1-Euro-Jobs.
Ich soll durch das Verbot, Praktika abzuleisten, davor geschützt werden, meine Arbeitskraft kostenlos an einen skrupellosen Arbeitgeber abzutreten, der bösartig ausnutzt, dass ich Arbeit verrichte, für die er andernfalls eine bezahlte Kraft einstellen müsste.
Nicht skrupellos hingegen sind die Anbieter von 1-Euro-Jobs7, denn ein 1-Euro-Job wird vom Arbeitsamt geprüft und nur dann zugelassen, wenn die ausgewiesene Arbeit zusätzlich ist. Zusätzlich ist alles, was ohne die Förderung nicht, nicht in diesem Umfang oder erst zu einem späteren Zeitpunkt durchgeführt würde.8
Aha. Im ersten Schritt werden also die Kultur- und Sozialeinrichtungen bis kurz vor die Arbeitsunfähigkeit gekürzt. Arbeit, die bislang von zwei Arbeitnehmern gut ausgeführt wurde, wird nun von einer Person schlecht ausgeführt. Dank 1-Euro-Job kann aber ein Arbeitsloser9 ergänzend die für die Einrichtung so notwendige Arbeit leisten, die man anders nicht besetzen kann, weil einem das Geld dazu fehlt (nicht etwa, weil man skrupellos ist).
Dann verursacht der arbeitslose Arbeitnehmer10 der Institution nicht nur keine Kosten, sondern der Träger verdient sogar an der Aufwandspauschale, die ihm das Arbeitsamt für seine Unannehmlichkeiten zahlt.
Dass gerade der Kultur- und Sozialbereich so prädestiniert für 1-Euro-Jobs ist, liegt daran, dass ein 1-Euro-Job nicht nur zusätzlich, sondern auch von öffentlichem Interesse sein muß. Typische Bereiche sind Wissenschaft und Forschung, Bildung und Erziehung, Kunst, Kultur, Religion, Umwelt, Jugend- und Altenhilfe, Landschaftsschutz, öffentliches Gesundheitswesen und Sport. Träger sind meist Kommunen, Wohlfahrtsverbände und angeschlossene Vereinigungen, Kirchen, Selbsthilfegruppen, Sportverbände u.a.11
Wenn ein 1-Euro-Job als Praktikum ausgeführt wird.
Ich bin froh, dass es 1-Euro-Jobs gibt. Sind sie doch eine Möglichkeit, mir Praktika mit einem Taschengeld bezahlen zu lassen, die ich andernfalls, wie gesagt, nicht machen dürfte.
Vor einem Monat wusste ich das noch nicht. Ich hatte mich mit der Anfrage nach einem 1-Euro-Job bei einem kirchlichen Träger beworben. Durch verschiedene Umstände kam es, dass zum Zeitpunkt des verabredeten Arbeitsbeginns die Formalia zwischen Arbeitsamt und Träger noch nicht geklärt waren. Ich begann meine Arbeit trotzdem – nun unter der Überschrift Praktikum – und der Institutionsleiter fand es fair, mir das Geld, das ich als zusätzliche Zuwendung vom Arbeitsamt bekommen hätte, aus eigener Kasse zu zahlen.
Ich fand das nett. In Wirklichkeit wurde ich ausgebeutet. Denn eine solche Beschäftigung ist nur dann zulässig, wenn sie dem Arbeitsamt weitere Kosten verursacht.
Ich darf keine vom Arbeitsamt finanzierte Weiterbildung machen.
Für die Förderung einer vom Arbeitsamt getragenen Bildungsmaßnahme brauche ich einen Bildungsgutschein. Der Ausstellung eines Bildungsgutscheines geht eine Beratung im zuständigen Arbeitsamt voraus zur
  • Prüfung der Notwendigkeit einer Bildungsmaßnahme.
  • Prüfung der Bildungsfähigkeitund Bildungswilligkeit des Kunden.
  • Prüfung der Aussicht auf Eingliederung in den Arbeitsmarkt.
    Die Aussicht auf Erfolg sollte mit mindestens 70 Prozent bewertet werden.
Weitergebildet werden sollten, so mein persönlicher Ansprechpartner, vor allem bislang Arbeitstätige, denn die bleiben so nahtlos in Beschäftigung. Weitergebildet werden können Arbeitslose, die trotz ihrer bisherigen Qualifikationen nachweislich keine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben. Aber nur, wenn es sich nicht vermeiden lässt.
Denn eine Weiterbildung dient, so mein persönlicher Ansprechpartner weiter, nicht meiner Weiterqualifikation, sondern der Sicherstellung einer Überführung in reguläre Arbeit. Infolgedessen koppelt das Hildesheimer Arbeitsamt die Genehmigung einer längerfristigen Bildungsmaßnahme an die verbindliche (aber rechtlich nicht haltbare) Zusage eines Arbeitgebers, den dann weitergebildeten Arbeitslosen nach Beendigung der Maßnahme zu übernehmen.12
Bei einer amtlich bestätigten Vermittlungsquote von mindestens 70 Prozent sollte die „Aussicht auf Eingliederung in den Arbeitsmarkt“ positiv bewertet werden können. So dachte ich. Das stimmt jedoch nicht. Denn mein persönlicher Ansprechpartner glaubt nicht an die Richtigkeit solcher Angaben. Schließlich würde jeder behaupten, möglichst erfolgreich zu sein.
Das Arbeitsamt trägt bei Bewilligung einer Maßnahme die enormen Kosten derselben. Diese stellen im Gespräch mit meinem persönlichen Ansprechpartner einen heiklen Punkt dar. Er besteht allerdings darauf, nicht gesagt zu haben, dass er die Maßnahme nicht bewilligen wolle, weil sie ihm zu teuer sei.
Ich habe kein Recht auf eine schriftliche Formulierung der Ablehnung.
Ich habe meinen persönlichen Ansprechpartner gebeten, mir schriftlich zu formulieren, warum er die Maßnahme nicht bewilligen wolle. Das hat er mir verweigert.
Ich habe nämlich kein Anrecht auf eine schriftliche Ablehnung, da es sich beim Bildungsgutschein um eine Kann-Leistung und keine Muß-Leistung des Arbeitsamtes handelt. Der persönliche Ansprechpartner ist ja nicht dazu verpflichtet, mir die Maßnahme zu genehmigen. Aus meinem Recht, einen Antrag zu stellen folgt nämlich nicht das Recht, formal abgelehnt zu werden.

PS: Mein persönlicher Ansprechpartner hat weder meinen Besuch noch die Inhalte unseres Gespräches am 9. 3. 2005 protokolliert. Aus Sicht des Arbeitsamtes hat es diesen Besuch nie gegeben.

PPS: Die Standpunkte des Arbeitsamtes haben sich als so nicht haltbar erwiesen. In der Folge hielt es das Arbeitsamt für notwendig, mir durch gleich zwei Mitarbeiter den Erhalt einer schriftlichen Ablehnung zuzusichern. Auf dieses Schreiben warte ich heute noch.

geschrieben März 2005

  1. Das sind Menschen, die keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben, da sie keine 360 Tage sozialversicherte Arbeitstätigkeit in den letzten drei Jahren vorweisen können (bzw. Menschen, die keinen Anspruch mehr haben), aber als arbeitsfähig eingestuft worden sind. So spart sich die Kommune die sonst fällige Sozialhilfe.
  2. Warum Jobs, die eine geringe Qualifikation voraussetzen, nicht erst den weniger qualifizierten Arbeitslosen angeboten werden, ist mir vergleichsweise unklar. Meines Wissens sind nicht nur Akademiker arbeitslos.
  3. Bezugnehmend auf das durch Hartz IV verursachte Verwaltungschaos meinte ein Mitarbeiter Mitte Januar 2005 zu mir, dass sich das Arbeitsamt frühestens in drei Monaten wieder mit Arbeitsvermittlung beschäftigen könne.
  4. Dabei handelt es sich um eine Regelauslegung meines persönlichen Ansprechpartners. Sowohl Dauer als auch Rahmenbedingung eines Praktikums können variieren.
  5. Denn ein Unternehmen möchte sich, so vermittelt mein persönlicher Ansprechpartner verständnisvoll, nicht jeden Monat auf ein neues Gesicht einstellen müssen.
  6. Sollte sich für einen 1-Euro-Jobber eine Arbeitsgelegenheit auf dem sogenannten ersten Arbeitsmarkt (also dem, auf dem die Arbeitnehmer durch Netto-Wirtschaftsleistung und nicht durch staatliche Subventionen bezahlt werden) ergeben, wird der 1-Euro-Job sofort mit nun hinfälligem Vertrag gelöst. Aber damit rechnet wohl niemand.
  7. „Stadt bietet Langzeitarbeitslosen Chance“, las ich vor einigen Monaten als Schlagzeile auf einer städtischen Internetseite, und dann folgte der Text: „Seit Mitte Dezember gibt es »Ein-Euro-Jobs« in den verschiedensten Bereichen der Stadtverwaltung.“
  8. § 261 Absatz 2 SGB III. Gesetzliche Aufgaben und Pflichtaufgaben eines Trägers sind nur dann förderungsfähig, wenn sie ohne die Förderung voraussichtlich erst nach zwei Jahren durchgeführt würden.
  9. Zum Beispiel die Person, der zuvor mangels Geld gekündigt werden musste.
  10. Ein durch einen 1-Euro-Job Beschäftigter gilt in der Statistik des Arbeitsamtes nicht mehr als arbeitslos.
  11. Gemeinnützigkeit ist nicht erforderlich, aber im Zweifel ausreichend, wenn der Träger als gemeinnützig anerkannt ist.
  12. Es reicht nicht etwa die generelle Versicherung, dass ein potentieller Bewerber mit besagter Weiterbildung bessere Chancen bei einer zukünftigen Stellenvergabe hätte als einer ohne.