Zur Sanne Grabisch

Sanne mit acht in ihrer klassischen Einschlafhaltung.

Dies ist mein Aufsatz über mich, mein Leben
und wie ich wurde, was ich bin.

Den größten Einfluss an meinem Werden hatte meine Geburt zu Hannover, welche um ein Haar mit meinem frühzeitigen Tod zusammengefallen wäre, da meine Mutter auf dem Weg zum Krankenhaus versuchte, mich mit der Nabelschnur zu erwürgen (was ich ihr aber in Anbetracht der Umstände gerne nachsehe). Ich wurde also zu einem Kaiserschnitt, welchen meine Mutter bei vollem Bewusstsein (eine medizinische Neuheit zu der damaligen Zeit) miterlebte. Sie hat sich, ebenso wie mein Vater, sehr auf und über mich gefreut, wenngleich sie mir bis heute vorwirft, ihr zwei Wochen des Schwangerschaftsurlaubes geklaut zu haben. (Selbst zwei Tage vor meiner Geburt tönte meiner Mutter Frauenarzt noch: „Frau Grabisch, das Kind liegt noch hoch, das kommt spät…!“) – Da ich es unfair gefunden hätte, Jesus mit meiner Geburt Konkurrenz zu machen, bin ich ein Nikolauskind geworden und ein Tigger (Pu-Horoskop) und ein Drache (Chinesisches Horoskop), und das sind Kinder des Glücks.

Früh zeigte ich mich in vielerlei Dingen begabt. So fanden sich erste Spuren meines künstlerischen Wirkens an der elterlichen Wohnzimmertapete. Ich vermute, ich – ein ansonsten sehr verständiges und vernünftiges Kind – wollte damit meinen Protest über das Leben hinter den Gittern des Laufstalls ausdrücken. Meine Eltern haben dies denn auch gleich eingesehen und mich in der Regel im freien Vollzug gehalten.

Mit vier bekam ich mein eigenes Zimmer, was mich nicht dran hinderte, vorzugsweise im Bett meiner Eltern einschlafen zu wollen. Meine Eltern versuchten damals dahingehend zu verhandeln, dass ich zu ihnen kommen könne, wenn ich in der Nacht aufwachte, aber ich vertrat hartnäckig den Standpunkt, dass es sich im Bett meiner Eltern viel besser einschliefe. Sie könnten mich gerne in mein Zimmer tragen, sobald ich eingeschlafen sei. Im Bett nuckelte ich am Daumen und hatte eine Hand in einem Federkissen (siehe Bild oben). Das Nuckeln habe ich mit zehn aufgegeben, meine Hand stecke ich immer noch in ein Kissen.

Ich wurde mit zunehmendem Alter immer (naja, etwas) größer und durchlief Kindergarten und Grundschule als Sonnenschein so mancher liebgewonnenen Pädagogin. Es hielt sich die Ansicht, dass ich meinen Weg schon machen würde, und ich habe bis heute nicht das Bedürfnis gehabt, dem widersprechen zu wollen oder zu müssen. Aufgrund meines lebhaften Temperamentes fand sich in meinem Halbjahreszeugnis der zweiten Klasse die Anmerkung:

„Susanne stört manchmal andere und sich selbst durch Schwatzen.“

Dann wechselte ich auf die (inzwischen auch in Niedersachsen abgeschaffte) Orientierungsstufe, in der ich – mädchenhaft wie nie zuvor – in eine Stummheit verfiel, welche mir eine Realschulempfehlung einbrachte und die Bewertung:

„Susanne ist eine stille, zurückhaltende Schülerin. Sie beteiligt sich zwar nicht oft aktiv am mündlichen Unterrichtsgeschehen, verfolgt aber den Unterrichtsverlauf immer sehr aufmerksam. […]“

Aus Trotz (um es meiner Klassenlehrerin zu zeigen) und Ehrgeiz (um es einem Klassenkameraden zu zeigen, der trotz schlechterem Notenschnitt kein Realschüler werden wollte) wechselte ich auf das Gymnasium, wo mich der Deutschunterricht („Nun habt eine Meinung, nun sagt mal, was Ihr denkt…“) dermaßen ansprach, dass ich auch wieder den Mund aufmachte.

Während der Oberstufe wählte ich Kunst und Deutsch als Hauptfächer und die Werbung als konfusen Berufswunsch, da ich „irgend etwas mit Kunst und Deutsch – also Werbung” machen wollte. Doch je näher das Abitur rückte, desto klarer wurde mir in meinem jugendlichen Idealismus, dass ich doch eigentlich nicht dazu beitragen wollte, Menschen Bedürfnisse einzureden, ohne die sie aus sich heraus zufriedener sein könnten.

Dann erfuhr ich von der Kulturpädagogik in Hildesheim und wähnte mich Zuhause. Da war ein Studiengang, der mir noch idealistischer schien, als ich mich selbst einschätzte, und der dabei die Bodenhaftung hatte, mich mit den Mitteln zu versehen, der Welt und ihren Untiefen zu trotzen.

Auch wenn sich im Studiengang inzwischen so einiges verändert hat – damals jedenfalls bestand ich die künstlerische Aufnahmeprüfung, wählte Bildende Kunst und Psychologie als Studienschwerpunkte, fand mich ansonsten zurecht und produzierte kontinuierlich Kunst. Meine heimliche Liebe galt schon bald der Museumspädagogik. (Meine Kunstlehrerin der Oberstufe hatte mich neben der Kunstgeschichte der Klassischen Moderne auch die bis heute andauernde Liebe zur Kunst gelehrt. Und das, obwohl sie menschlich schwer zu händeln, herrisch und unbeliebt war. Ich habe außerdem die Kunst gelernt, mit ihr umzugehen.)

Während meiner Studienzeit probierte ich meine theoretischen pädagogischen Überzeugungen an einer Kindermalschule in der Praxis aus. Nach meinem Studium trainierte ich meine Tischtennis- und Kicker-Technik in einem Jugendzentrum. Freundlicherweise gab man mir Geld dafür. Während meiner Tätigkeit in der Kunsthalle Göppingen verlegte sich mein Arbeitsschwerpunkt gewissermaßen selbsttätig von der klassischen Museumspädagogik hin zur Medienpädagogik (wie z.B. bei der multimedialen Verlebendigung eines Kunstwerkes) – überhaupt nahm der Anteil an medialer und mediengestalterischer Arbeit immer mehr zu. Bis dahin hatte ich (trotz stetig widersprechender Alltagserfahrung im WorldWideWeb) Dinge wie Validität und Benutzungsfreundlichkeit für schlicht selbstverständlich gehalten und auch meine eigene mediale Kompetenz hatte ich für recht üblich gehalten.

Inzwischen hat es mich nach Bamberg verschlagen – der Liebe, des Lebens und der Zukunft wegen. Mein Berufsalltag ähnelt dem eines typischen Kulturschaffenden in der heutigen Zeit und setzt sich zusammen aus der freiberuflicher Tätigkeit als Webauthor, Designer (vorrangig Logos und Layout von Printmedien), Illustrator und was sich sonst so ergibt (das sind auch immer wieder medienpädagogische Projekte wie Kurse in Digitaler Bildbearbeitung, Postergestaltung am Computer für Vor- und Grundschulkinder oder die Entwicklung von Stop-Motion-Filmen mit Grundschülern). An der Universität Bamberg betreute ich von 2006 bis 2011 teils in Teilzeit, teils freiberuflich verschiedene Informatikförderprogramme wie das Mentorinnenprogramm der Wirtschaftsinformatik und Angewandten Informatik (WIAI), die Mädchen-Workshop-Tage »Auf die Plätze – Technik – los!« (»MUT – Mädchen und Technik«), den »Girls' Day« oder den 2009 ins Leben gerufenen informatischen Schüler-Aktionstag »Freak-IT«. Dies alles irgendwie immer vor dem Hintergrund, durch die Vermittlung von Medienkompetenz – im weitesten Sinne – und durch eine offene und annehmende Haltung – bei aller Professionalität – Menschen in ihrer Entwicklung zu freien und mündigen Bürgern zu bestärken und zu unterstützen. Ich bin immer noch Idealist.
Ich gestalte meine Welt.
Und es macht Spaß.

Stand Juni 2012